“Ich kapier’ nicht, was du machst!” (Ein sehr guter Freund von mir, Informatiker)

Ich kann’s ihm nicht verübeln. Blümchen zählen und Gesundheitschecks bei Zimmerpflanzen aller Art werden von der Bevölkerung generell als grundlegende Skills bei Biologen erwartet, sind aber im normalen Berufsleben weitestgehend irrelevant. Interessant wird es, wenn Blümchen automatisiert gezählt oder die Gesundheit der Zimmerpflanzen mithilfe Künstlicher Intelligenz evaluiert werden soll. Wer entwickelt die Konzepte? Wer definiert die Anforderungen? Wer sagt den Softwareentwicklern, die normalerweise keine Blümchen zählen, was zu entwickeln ist? Die IT Branche braucht Menschen, die in der Lage sind, fachlich fundierte Konzepte zu entwickeln und diese so darzustellen, dass eine Software damit entwickelt werden kann. Eine Biologe mit IT-Affinität kann hier für sehr fachlich getriebene IT Projekte aus den Life Sciences ein entscheidender Erfolgsfaktor sein.

Aber was bedeutet denn überhaupt IT-Affinität? Für klassische Biologen aus dem Labor (Nicht-Bioinformatiker) kann ein Beispiel sein: Einen Schritt weiter denken, wenn es um die Bedienung von Computern geht und Spaß daran haben, diesen Schritt zu gehen. Es kann sehr einfach anfangen: Anstatt große Datenanalysen mit Excel durchzuführen, einfach mal stattdessen Python oder R verwenden und sehen, wie viel schneller man damit zum Ziel kommt. Ich habe mal einen Doktoranden dabei beobachtet, wie er hunderte einzelne, exakt gleich aufgebaute Dateien in Excel Sheets konvertiert hat und dann noch eine Woche gebraucht hat, um Excel beizubringen, die entsprechenden Analysen zu machen. Die Entwicklung des Skripts hat mit Python 2 Stunden gedauert, die eigentliche Analyse ein paar Sekunden. Hierfür gibt es viele Beispiele. Digitalisierung fängt für Biologen bei der kleinen Erkenntnis an: “Wie kann ich Zeit sparen?” – Der Spaß an der Lösung ist die IT Affinität.

Warum IT Beratung?

Naturwissenschaftler haben sehr häufig den Drang, einen positiven, nachhaltigen Einfluss auf die Welt zu nehmen. Das geht klassisch über langjährige Forschung, die dann hoffentlich Ergebnisse zeigt, die dann hoffentlich publiziert wird, die dann hoffentlich entdeckt wird, die dann hoffentlich zu einem Produkt entwickelt wird, welches dann hoffentlich besagten positiven Einfluss hinterlässt. Oder, in der Variante der Grundlagenforschung: Ein kleines Stück zum Gesamtwissen beitragen, das dann im weiteren Verlauf der Geschichte ein kleiner Teil eines wichtigen Produktes ist. Hat bei Oppenheimer nicht so gut geklappt, aber der BioNTech Impfstoff zum Beispiel würde nicht existieren ohne die in Summe Jahrhunderte, die in Grundlagenforschung zu RNA und Zellbiologie investiert wurden.

Es gibt aber noch eine direktere Möglichkeit, einen positiven Einfluss zu hinterlassen: Zum Beispiel an einer Produktentwicklung beteiligt sein, die Menschen nachhaltig hilft. Gerade in der Life Sciences-nahen Softwareentwicklung ist dies vergleichsweise einfach möglich, zum Beispiel in der Medizintechnik oder Labordiagnostik, wo die Entwicklung direkt einen Einfluss auf Patientinnen und Patienten hat.

Biologinnen und Biologen in der IT Beratung: Was bringen sie mit?

Eine starke analytische Denkweise und das Wissen aus der Biologie, gepaart mit IT-Kenntnissen, ermöglichen es Biologen, sich schnell in IT-Projekte im Bereich Life Sciences einzufinden. Die Fähigkeit, komplexe Prozesse zu verstehen und in einfache Worte zu fassen, kann bei der Kommunikation zwischen dem technischen Team und den Stakeholdern von unschätzbarem Wert sein.

Viele IT-Projekte im Bereich Life Sciences beinhalten auch regulatorische Anforderungen. Hier können Biologen, die sich mit den gesetzlichen Vorgaben und den Anforderungen aus dem Laboralltag auskennen, wertvollen Input liefern.

Nach einer dreistelligen Zahl an Bewerbungen, die durch meine Hände gegangen sind, denke ich, dass ich einen guten Überblick darüber geben kann, was gesucht wird. Die ideale Kandidatin oder der ideale Kandidat sollte folgendes mitbringen:

  1. Das oben erwähnte IT-Faible: Eine hohe Motivation und ein großes Interesse an Digitalisierungsthemen. Der Schmerz, mangelnde Digitalisierung in den Life Sciences einmal ertragen zu haben, motiviert viele Personen hierfür.
  2. Erste IT-Projekterfahrungen: Zum Beispiel eine Mitarbeit in Digitalisierungsprojekten. Wer diese nicht hat, kann Punkten mit ersten wichtigen Zertifizierungen, wie beispielsweise der Certified Professional for Requirements Engineering (CPRE). Dieser ist eine wichtige Grundlage für den Einstieg als Consultant.
  3. Der Wunsch, in der Beratung zu arbeiten: Viele Projektwechsel, herausfordernde Tätigkeiten häufig unter Zeitdruck, Kundenkontakt.
  4. Eine Can-Do-Mentalität: Es wird viele Aufgaben und Situationen geben, die bis dato noch nicht aufgetreten sind und die außerhalb der eigenen Komfortzone liegen. Sie müssen dennoch erledigt werden.
  5. Eine Motivation, auch fachfremde Projekte zu meistern: Es gibt nicht immer nur das Traumprojekt in der Traumbranche. Man wächst aber an jedem Projekt.

Typische Rollen in Life Sciences Softwareprojekten

Häufig fragen Bewerbende mich nach typischen Aufgaben und Rollen in Life Sciences Softwareprojekten. Es gibt, neben der eigentlichen Softwareentwicklung, vier typische Rollen:

  • Projektleitung: Die Leitung von IT Projekten ist etwas für erfahrene Beraterinnen und Berater. Weitere Informationen gibt es in diesem schönen Blogpost meiner Kollegin.
  • Anforderungsmanagement (kurz “RE” für Requirements Engineering): Eine oft heruntergspielte Rolle, in der Realität aber essenziell und auch die Rolle, für die Fachexpertise am wichtigsten ist. Dem Kunden das entlocken, was er wirklich braucht und dies so aufbereiten, dass Entwickler daraus eine Software schmieden können. Sieht einfach aus, ist aber eine hohe Kunst.
  • Quality Assurance: Bei allen Softwareprojekten wichtig, aber im regulierten Umfeld essenziell: Das zerstören, was Entwickler gebaut haben und damit überprüfen, ob alle Anforderungen an ein System erfüllt sind.
  • Regulatory Expert: Expertise über die jeweils gültigen Normen und Regularien haben und die Entwicklung so begleiten, dass ein zertifizierbares Produkt entsteht – idealerweise so, dass die Entwickler nicht merken, dass dies der Fall ist.

Tipps für den Einstieg in die Life Sciences IT Beratung

  1. Weiterbildung: Es gibt viele Online-Kurse zu den Themen IT, Softwareentwicklung und spezifisch zu Life Sciences IT-Projekten. Dies gibt einen soliden Einblick in die technische Seite und hilft, das vorhandene biologische Wissen mit IT-Kenntnissen zu verbinden.
  2. Networking: Es gibt eine Menge Konferenzen, Events und Foren zu den verschiedenen Themen rund um Life Sciences IT. Networking hilft, die richtigen Personen kennenzulernen und einen Überblick über die verschiedenen Themen zu sammeln.
  3. Praktika und Trainee-Programme: Viele Unternehmen bieten spezielle Einstiegsprogramme für Quereinsteiger an. Diese bieten oft Schulungen und die Möglichkeit, unter Anleitung erste Projekterfahrungen zu sammeln.
  4. Mentoren: Ein Mentor aus der IT-Beratung oder aus dem Bereich Life Sciences kann wertvolle Einblicke geben und beim Einstieg helfen.
  5. Aktiv bewerben: Auch wenn nicht explizit nach einem Biologen gesucht wird, kann man mit seiner Kombination aus biologischem Wissen und IT-Affinität überzeugen. In der Bewerbung sollte der Fokus darauf gelegt werden, wie Brücken zwischen der biologischen und IT-Welt geschlagen wurden.

Die Verbindung von Biologie und IT eröffnet ein riesiges Potenzial, um innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl die Forschung als auch die Praxis in den Life Sciences vorantreiben. Mit der richtigen Einstellung, Weiterbildung und einem starken Netzwerk können Biologinnen und Biologen eine beeindruckende Karriere in der IT-Beratung im Bereich Life Sciences aufbauen. Es erfordert zwar Anstrengung und Hingabe, aber die Ergebnisse – in Form von Produkten und Dienstleistungen, die einen echten Unterschied im Leben der Menschen machen – sind es wert. Ich habe schon in einigen Bewerbergesprächen gesagt, dass ich der Meinung bin, dass jede und jeder einmal Beratung ausprobiert haben sollte.

(Für Dennis – ich hoffe, du hast es jetzt kapiert.)